Was ist Achtsamkeit?

Stefan Goedecke in der Zeitschrift “Ich Bin”, Ausgabe 01/2025

Grundsätzlich ist Achtsamkeit eine bewusste Wahrnehmung des Hier und Jetzt. Dies setzt eine offene, wenn nicht gar neugierige Haltung voraus, denn um achtsam zu sein, muss man auch wirklich achtsam sein wollen.

Selbst wenn uns ein Moment unvorbereitet überrascht, erfordert es die bewusste Entscheidung dafür, ihn achtsam wahrzunehmen. Das Gegenteil von Achtsamkeit wäre demnach Ignoranz, denn auch diese geschieht nur bewusst und mit einer grundlegenden Entscheidung gegen etwas. Als Synonym wären Begriffe wie Aufmerksamkeit, Wachsamkeit, Offenheit geeignet. Aber was ist Achtsamkeit noch? Sie ist individuell, lebendig, intensiv. Vor allem aber ist Achtsamkeit kein Trend der Neuzeit. In Religionen wird sie zum Beispiel seit Jahrhunderten in Form von Gebeten praktiziert, im Buddhismus wiederum als Meditation. Ziel ist es dabei stets, in sich zu gehen und sich weiterzuentwickeln. Als Werkzeug hierfür nutzen einige von uns Mandalas, andere Kampfsport und wieder andere die pure Stille. Die Gestaltung der Achtsamkeit ist also äußerst vielfältig. Sie hat ihre Wurzeln in der jeweiligen Kultur der praktizierenden Völker, wandelt sich jedoch mit der Zeit und den Ansprüchen.

Die innere Ruhe als Ziel

In diesem Jahr ist die Sehnsucht nach Frieden und Stille besonders groß. Im Advent berichten Christinnen und Christen darüber, welche Bedeutung Stille in ihrem Leben hat und wo und wie sie sie finden.

Martin Scholz in der Zeitschrift “Der Dom”, Ausgabe Dezember 2023

Ich stehe an einem etwas abseits gelegenen Ort innerhalb der Mauern einer Benediktinerabtei. Mein Blick ist konzentriert auf die dort aufgestellte Zielscheibe gerichtet. In meiner linken Hand halte ich meinen Bogen, in meiner rechten Hand den Pfeil. Mein Atem fließt gleichmäßig. Ich bin ganz ruhig.

Ich lege den Pfeil auf den Bogen, meine Finger greifen an die Sehne, mein Blick ist weiterhin konzentriert. Körper und Bogen spannen sich. Ich bin ganz ruhig.
Im für mich rechten Augenblick lasse ich die Sehne los. Der Pfeil verlässt leise den Bogen und erreicht kurz darauf mit einem angenehmen Geräusch die Zielscheibe. Ich bin ganz ruhig.
Die Abläufe bei unserer Art des meditativen Bogenschießens sind sehr reduziert. Da es nicht darum geht, möglichst perfekt die Mitte einer Zielscheibe zu treffen, sind wir frei von dem Gedanken, Leistung erbringen zu müssen.
Das ständige Wiederholen der immer gleichen Abläufe, in Verbindung mit der Befreiung vom Leistungsgedanken, führt uns in eine äußere und innere Ruhe – eine Ruhe für Körper, Geist und Seele.
In meinen Seminaren erfahre ich immer wieder, wie sehr sich die Teilnehmenden diese Ruhe wünschen, wie sehr sie sich danach sehnen, die Unruhe und die Lautstärke des Alltags – wenn auch nur für eine kurze Zeit – hinter sich zu lassen. Das erhoffen sich die Menschen vom meditativen Bogenschießen ins Kloster.
Und ich erlebe, wie schwer es fällt, sich auf diese Ruhe, die wir uns so sehr wünschen, nach der wir uns so sehr sehnen, einzulassen. Es ist nicht „normal“, Dinge in Ruhe zu tun. Es ist nicht „normal“, still zu sein. Zu sehr sind wir vom Tempo und der Lautstärke des Alltags geprägt. Das klösterliche Umfeld lädt uns ein und unterstützt uns dabei, dieses „unnormale“ Tun und Sein kennen zu lernen, es uns zu „gönnen“, es zu genießen.
Es ist immer wieder beeindruckend mitzuerleben, wenn sich bei den Teilnehmenden die gewünschte Ruhe einstellt. Unsere Seminare sind keine Schweigeseminare, dennoch findet ein Großteil des meditativen Bogenschießens in absoluter Stille statt – und das gilt nicht nur für das praktische Tun, sondern auch für die Zeiten „dazwischen“.
Aber auch meditatives Bogenschießen im Kloster ist nicht immer eine „Insel der Glückseligkeit“, wie es einmal eine teilnehmende Ordensfrau anmerkte. Störende Gedanken und Geräusche gibt es auch innerhalb von Klostermauern – und auch beim meditativen Bogenschießen.
Mir ist im Laufe der Jahre wichtig geworden, diese „Störungen“ nicht beiseiteschieben zu wollen, sondern sie bewusst wahrzunehmen und sie dann beim aktiven Tun des Bogenschießens abzubauen. Sehr eindrucksvoll gelang dies den Teilnehmenden eines Seminars in einem Kloster, das seinerzeit in der Nähe unseres Bogenplatzes noch eine Schreinerei betrieb. Während unseres meditativen Bogenschießens erfolgte die Anlieferung einer großen Ladung Holz, verbunden mit vielen lauten Geräuschen von LKW, Gabelstapler, Arbeitern etc. Am Ende unserer Seminareinheit berichteten die Teilnehmenden, wie sehr sie nach der anfänglichen „Störung“ die Ruhe und Stille beim Bogenschießen genossen haben. Die äußere Geräuschkulisse blieb während der gesamten Einheit gleich, die empfundene Ruhe und Stille stellte sich innerlich ein.
Für mich ist der Zustand von Ruhe und Stille mittlerweile meist ein inneres Empfinden. Wie die Teilnehmenden im oben beschriebenen Seminar, kann ich in größter äußerer Unruhe eine wunderbare innere Ruhe erfahren. Und es gibt Situationen, die äußerlich so „perfekt“ sind, wo es so ruhig und still ist, ich aber meine innere „Geräuschkulisse“ kaum ertragen kann. Auch dann hilft mir mein meditatives Bogenschießen – real oder in meiner Vorstellung.
In der Advents- und Weihnachtszeit haben Ruhe und Stille für mich immer eine ganz besondere Bedeutung. Mein Seminarjahr ist dann meist abgeschlossen und ich komme in eine ganz persönliche Ruhe. Ich kann dann dem oft hektischen Treiben um mich herum ganz entspannt zuschauen, ohne mich davon negativ berühren zu lassen.
Die Möglichkeit zur Besinnung auf das Wesentliche, ist das, was für mich Ruhe und Stille so existenziell wichtig machen. Das meditative Bogenschießen ist für mich ein möglicher Weg, sich dem zu nähern.

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